Was ist ein "Poly" ?
Irgendwann in den Siebzigern gab es mal
ein sogenanntes Polytechnik-Studium. Da ging es kreuz und quer durch
die verschiedensten naturwissenschaftlichenen und technischen Disziplinen.
Werkstoffkunde, Maschinenbau, Elektrotechnik, Automatisierung, Betriebswirtschaft,
Volkswirtschaft, Informatik. (Wir hatten tatsächlich schon einen Computer,
groß wie eine Schrankwand und mit Lochstreifenspeicherung.)
Techniken und Technologien quer durch den Gemüsegarten: Holzbearbeitung
mit dem Handhobel wie Anno dunnemals und mit hochgefährlich
kreischenden Horrormaschinen, Metallbearbeitung von der Feile bis
zum Erodierautomaten, Pralinenverpackung, Nähmaschine etc.)
Man zeigte uns, wie aus Dederon Malimo gemacht wurde, (Kennt das noch jemand?)
und wie man in Zwickau die Trabbis "gefaltet" hat, Nahrungsmittelindustrie
und Landwirtschaft. (Angeblich haben einige sogar Kühe gemolken.) |
Gastrollen
in diversen Betrieben sorgten für die nötige Bodenhaftung.
(Winzige Gewinde schneiden im Schreibmaschinenwerk, Zwiebelsamen
ernten in einer Großgärtnerei, drei Wochen Nachtschicht an der
Schlagschere im Landmaschinenbau usw.) Dazu kamen noch diverse pädagogische
und psychologische Besohlungen, denn wir sollten später mal
kleinen neuen Menschen von all diesen Dingen etwas beibringen. Die
alteingesessenen (und manchmal leicht abgehobenen) Physiker, Mathematiker,
Chemiker und Philologen sahen gerne ein bisschen auf uns herab: "von Allem
was und Nichts richtig", "Zehnkämpfer der Wissenschaft", "die bohren
das Brett an der dünnsten Stelle". Die Polytechnik-Studenten
hießen unter Ihresgleichen und auch bei den anderen Fakultäten
allgemein: "die Polys", und galten als gefürchtete Trinker und Raufbolde.
(Das war aber wirklich ein Vorurteil!) Der Spitzname Poly ist irgendwie
hängengeblieben. Außerdem schien er uns ganz passend für
solche Bastelseiten. |
Thüringer + Faltboot ?
Wie kommen Thüringer zum Faltboot?
Nichts naheliegender als das. Die stärkste Anziehungskraft üben
manchmal Dinge aus, die besonders fern liegen. In den Besatzungslisten
der Handelsflotte fanden sich schon früher viele Thüringer und
Sachsen. Wenn der nächste Fluss ein Bach hinterm Haus und der nächste
See eine Stausee in Handtuchgröße ist, darf man schon mal von
reißenden Strömen und gewaltigen Ozeanen träumen. Irgendwann
bei einem Campingurlaub in Mecklenburg wurde also für 550 "Mark
der deutschen Notenbank" |
im Sportwarenladen in Rostock ein Faltboot
RZ-85 angeschafft (gab's ohne Voranmeldung und Wartezeit) und mangels
eigenem Auto mit Straßenbahn, Zug und Pferdefuhrwerk an den Urlaubssee
gebracht. Der erste Aufbau war eine Qual. Obwohl die Haut stundenlang in
der Sonne gelegen hatte (und eigentlich butterweich sein sollte), brauchte
es das Gewicht mehrerer Zeltnachbarn um die Bodenleiter herunterzubekommen.
Das Festdrehen der letzten Flügelmutter machte uns so stolz, als hätten
wir den letzten Stein auf die Cheopspyramide gesetzt. Die erste Fahrt wurde
wie ein Ritual zelebriert. |
Das Boot "Werra" ?
Im zweiten Jahr bekam das Boot einen Namen.
Wir fuhren mit ein paar Kameraden im März die Werra hinunter. Der
sonst friedliche Bach hatte durch die Schneeschmelze eine ziemlich wilde
Strömung. Unter der engen Steinbogenbrücke von Belrieth, durch
die das Wasser wie aus einem Feuerwehrschlauch schoss, riss eine
der Hanfschnüre, die der Hersteller als Steuerseile vorgesehen hatte.
Das steuerlose Boot mit einer Besatzung ohne Wildwassererfahrung drehte
sich sofort quer, und trieb nach links zwischen die Uferbäume. |
Da das Heck immer noch in der Strömung
lag, wurde das Boot um einen weit im Wasser stehenden Baum herumgerissen.
Die rechte Seitenleiter gab mit lautem Krachen nach, und das Boot schüttete
seine Besatzung in den Bach. Bevor das vollgelaufene Wrack am nächsten
Wehr weiter unten endgültig zu Kleinholz werden konnte, fingen es
einige Kameraden ab. Die Seitenleiter war schön lang gesplittert,
so dass sie mit Leim und einer strammen Fadenwicklung leicht zu reparieren
war. Die brutale Bootstaufe brachte uns fast zwangsläufig auf den
Namen "Werra". |
Experimente?
In den folgenden Jahren wurde Winter
für Winter immer wieder etwas an dem Boot herumgebaut. Erst das größere
Ruder, dann ein Besan, größere Segel und immer wieder das eine
oder andere Detail. Nebenbei entstand noch ein kleines Modell des Bootes.
Als alle seglerischen Möglichkeiten ausgereizt schienen, wurden wir
unserer Werra untreu und stiegen für mehrere Jahre auf ein Faltsegelboot
Delphin um, das ein neues weites Betätigungsfeld zu bieten schien.
Eine gewisse Enttäuschung! Zwar hat ein solch breiter "Umiak"
jede Menge Platz für jede Menge Leute mit Gepäck und man kann
auch viel dran herumbasteln, aber ein richtiges Segelboot wird nie draus. |
Und paddeln kann man so einen dicken Eimer
auch nicht. Der Delphin wurde verkauft und wir kehrten reuhmütig zu
unserer Werra zurück. Leider hatten die Segel inzwischen arg gelitten.
Jahrzehnte lang gehörten wir zu den Kanuten, die nie nie nie
einen Motor an ihrem Boot geduldet hätten. Nicht einmal unser Dickschiff
hatte so ein Ding. Als es aber schließlich mit den großen Wanderfahrten
ganz vorbei war, stellte sich allmählich eine leichte Kompromissbereitschaft
ein. Inzwischen sind wir mit unserem tuckernden Minidampfer ganz zufrieden.
Und wenn man Lust dazu hat, kann man ja so tun als wäre es immer noch
ein normales Faltboot. Das Aggregat hinterm Steuermann stört beim
Paddeln sowieso nur die Anderen. |
Der Fluss "Werra" ?
Seit einigen Jahren wohnen wir in einer
Talaue unter einem hohen Felsen in Sichtweite des Flusses. Paddler kamen
in den letzten Jahren hier selten vorbei. Und wir lassen unser Boot fast
nur noch auf den Oberen Seen in Mecklenburg zu Wasser. (Dort bleibt es
meistens auch im Winterlager.) Ein paar Fußballfans in einem alten
Schlauchboot mit jeder Menge Sechserpack Bier zu Himmelfahrt kann man kaum
als ernstzunehmende Wasserwanderer betrachten. (Die haben auch nach wenigen
Kilometern aufgegeben.) Aber manchmal geschehen seltsame kleine Wunder:
Heute stand in der Regionalzeitung, dass man beabsichtigt, die Werra für
touristisches Wasserwandern zu erschließen. Einsatzstellen und Umtragewege
sollen gebaut, und einige Wehre entschärft werden. Warten wir ab,
was daraus wird.
Jutta und Jürgen Engert
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erstellt
von Poly
am 05.03.2000
aktualisiert am 12.03.2000 |
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